Reverse Charge: Die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft

Wenn Sie eine Rechnung schreiben, weisen Sie darin in aller Regel die Umsatzsteuer aus. Ihr Kunde bezahlt die gesamte Rechnung inklusive Umsatzsteuer. Diese dürfen Sie allerdings nicht behalten – Sie als Leistender müssen sie an das Finanzamt abführen. Das sogenannte Reverse-Charge-Verfahren ändert das: Nicht Sie als Leistender, sondern Ihr Kunde als Leistungsempfänger schuldet dem Finanzamt in diesem Fall die Umsatzsteuer. Welchen Sinn hat das Reverse-Charge-Verfahren? Wen betrifft es und was ist dabei zu beachten?

Reverse Charge: Was ist das?

Der englische Begriff „Reverse Charge“ bedeutet allgemein „Umkehrung der Berechnung“. Im Steuerrecht steht er für die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft – genauer gesagt: der Umsatzsteuerschuldnerschaft. Vielleicht haben Sie auch schon von den Begriffen „Schuldnerumkehr“ oder „Verlagerung der Steuerschuld“ gehört; diese sind Synonyme für das Reverse-Charge-Verfahren.

Normalfall Reverse Charge
Der Leistende schuldet die Umsatzsteuer. Der Leistungsempfänger schuldet die Umsatzsteuer.

In der Praxis bedeutet das Folgendes: Der Leistungsempfänger zahlt die Umsatzsteuer bei einer Lieferung oder Leistung nicht an den Leistenden, sondern direkt an das Finanzamt. Ein Leistungsempfänger, der zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, kann die zu zahlende Umsatzsteuer jedoch direkt wieder als Vorsteuer verrechnen. Dann fallen beim Leistungsempfänger Umsatzsteuer und Vorsteuer zusammen und gleichen sich aus.

Was ist das Ziel des Reverse-Charge-Verfahrens?

In der Praxis kann das Reverse-Charge-Verfahren das Abführen der Umsatzsteuer – zumindest für den Lieferanten – vereinfachen und seinen bürokratischen Aufwand verringern. Vor allem soll die Regelung aber gegen Missbrauch und Steuerbetrug wirken. So hilft Reverse Charge beispielsweise, sogenannten Karussellbetrug zu bekämpfen. Hierbei werden grenzüberschreitende Lieferungen, die für den Leistenden steuerfrei sind, zum Hinterziehen der Umsatzsteuer ausgenutzt. Groben Schätzungen zufolge gehen dem deutschen Fiskus auf diese Weise mehrere Milliarden Euro pro Jahr verloren.

Beispiel: Unternehmer A aus Frankreich liefert eine Ware an Unternehmer B in Deutschland. Unternehmer A schreibt eine Rechnung ohne Umsatzsteuer. Unternehmer B verkauft die Ware an Unternehmer C in Deutschland und schreibt eine Rechnung mit Umsatzsteuer. C lässt sich die Umsatzsteuer vom Finanzamt als Vorsteuer erstatten. B müsste die Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen, aber er verschwindet vom Markt, ehe die Steuer fällig wird. Man bezeichnet ihn als „Missing Trader“. Unternehmer C verkauft die Ware wieder an A in Frankreich. Das Karussell dreht sich weiter.

Beim Karussellbetrug führt der Leistende die Umsatzsteuer also nicht ab; trotzdem wird sie vom Leistungsempfänger als Vorsteuer geltend gemacht. Reverse Charge verhindert das: Umsatz- und Vorsteuer liegen in einer Hand. Will der Empfänger die Vorsteuer vom Finanzamt zurückerstattet bekommen, muss er gleichzeitig die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer angeben. Das Steuersystem ist weniger betrugsanfällig, daher ist es inzwischen für viele Branchen auch ein Muss. Besonders beim Handel mit Tablets und Handys oder in der Baubranche kam es in der Vergangenheit oft zu solchen Karussellgeschäften.

Wann greift das Reverse-Charge-Verfahren und wer ist dazu verpflichtet?

In vielen Fällen, in denen Lieferungen oder Leistungen von einem im Ausland ansässigen Unternehmen bezogen werden, greift Reverse Charge. Bei Lieferungen und sonstigen Leistungen zwischen inländischen Unternehmen ist das Verfahren darüber hinaus für manche Fälle grundsätzlich vorgeschrieben. Bei allen Reverse-Charge-Fällen gilt: Das Verfahren ist nur dann anzuwenden, wenn der Leistungsempfänger ein Unternehmer oder eine juristische Person ist.

Für welche Geschäfte gilt Reverse Charge nun genau? In § 13b Abs. 2 UStG sind alle Geschäfte festgehalten, für die dies gilt und die in der Vergangenheit für Umsatzsteuerbetrug bekannt waren. Dazu gehören u. a. die folgenden:

  • Grenzüberschreitende Werklieferungen innerhalb der EU, etwa von Deutschland aus in ein anderes EU-Land oder umgekehrt („Werklieferung“ bedeutet, dass der Werkhersteller die wesentlichen Stoffe für das Werk selbst beschafft)
  • Umsätze, die das Grunderwerbssteuergesetz betreffen
  • Bauleistungen
  • Gebäudereinigung
  • Goldlieferungen
  • Lieferung von Elektronik – z. B. Handys, Tablets, Schaltkreise oder Spielekonsolen

In § 13b Abs. 1 und Abs. 2 UStG können Sie die Grundlagen zum Thema Reverse Charge im Einzelnen nachlesen.

Hinweis

Beachten Sie auch, dass es verschiedene zusätzliche Ausnahmen und Voraussetzungen gibt: Gehen etwa Bauleistungen an einen Bauträger, greift das Reverse-Charge-Verfahren nicht.

Mittlerweile wird das Reverse-Charge-Verfahren in der gesamten EU bei grenzüberschreitenden Geschäften angewendet. Dennoch gibt es von Land zu Land unterschiedliche Regelungen: Lieferungen oder Leistungen, die in einem Land unter Reverse Charge fallen, können in einem anderen frei davon sein.

Reverse Charge ist auch für Kleinunternehmer wichtig: Nehmen Sie an internationalen Geschäften teil, gelten Sie als Unternehmer. In diesem Fall gibt es also keine Privilegien. Bedenken Sie unbedingt, dass Sie eine Umsatzsteuer-ID brauchen, wenn Sie EU-weit agieren. Sie können sie einfach beim Bundeszentralamt für Steuern beantragen.

Reverse Charge auf Rechnungen kennzeichnen - Beispiel und Muster

Falls Sie als Unternehmer eine Leistung erbringen, die unter das Reverse-Charge-Verfahren fällt, vergessen Sie nicht, dies auf der Rechnung entsprechend zu kennzeichnen – diese Pflicht ist in § 14a Abs. 5 UStG ausdrücklich festgehalten. Es reicht der Hinweis, wie im nachfolgenden Beispiel bzw. Muster:

Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers

Es muss allerdings nicht genau dieser Wortlaut wie in diesem Beispiel sein, auch andere Formulierungen sind zulässig. Bei nicht deutschsprachigen Leistungsempfängern ist es zu empfehlen, in englischer Sprache auf das Reverse-Charge-Verfahren hinzuweisen, wie folgendes Muster zeigt: „VAT due to the recipient“ bzw. „Recipient is liable for VAT“. Sie können den Hinweis auch in der jeweiligen Landessprache vermerken. In dieser Tabelle finden Sie einige Beispiele für den Begriff in anderen Sprachen:

Wichtig: Neben diesem Hinweis und den Pflichtangaben muss eine Rechnung ins EU-Ausland sowohl die Umsatzsteuer-ID des Leistenden als auch die des Leistungsempfängers enthalten. Achten Sie unbedingt darauf, dass Sie bei einer Reverse-Charge-Rechnung nicht aus Versehen die Steuer ausweisen – aus Gewohnheit kann das schnell passieren.

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Fazit: Reverse Charge kehrt des Mechanismus der Umsatzsteuererhebung um

Die Regelungen zum Reverse-Charge-Verfahren sind umfangreich. Kein Wunder also, dass viele Unternehmer erstmal überfordert sind. Falls Sie Fragen haben, ziehen Sie ruhig einen Steuerberater hinzu, um Fehler von Anfang an zu vermeiden. Wenn Sie sich die folgenden Punkte einprägen, ist die Basis schon geschaffen:

  • Prüfen Sie, ob Ihre Geschäfte unter die Regelungen in § 13b Abs. 2 UStG fallen.
  • Ist das der Fall, schuldet der Leistungsempfänger dem Finanzamt die Umsatzsteuer. Gleichzeitig kann er sie sofort als Vorsteuer absetzen.
  • Leistende schreiben eine Nettorechnung mit dem Hinweis, dass das Reverse-Charge-Verfahren greift.
  • Vergessen Sie nicht, den Hinweis klar auf Ihrer Rechnung zu vermerken. Auch die Umsatzsteuer-Identifikationsnummern sind wichtig.

Bitte beachten Sie den rechtlichen Hinweis zu diesem Artikel.